Viel Beifall nach gloriosem Finale
Abschlusskonzert des 73. Festival junger Künstler Bayreuth
Alle tragen Schwarz und, die Herren, auch Weiß. Die Dirigentin zieren schärpenmäßig zwei weitere Farben: die des ukrainischen Nationalwappens. Nur die Flötistin hat kein schwarzes, sondern ein (dunkel-)blaues Kleid an. Am Ende werden sie alle, die Musiker des Youth Symphonie Orchestra of Ukraine, gleich mehrmals ein lautes und herzhaftes „Slawa Ukraini“, „Ruhm der Ukraine“ in den Raum rufen. Von Kulturpublizist Dr. Frank Piontek. Foto: Astrid Loos.
Klingt es nicht wie das sprichwörtliche Pfeifen im Walde? Und kann Musik irgendetwas mit der Politik zu tun haben, die ein Konzert eines in Bayreuth gastierenden ukrainischen Orchesters im Goetheschen Sinne so bedeutend macht? Sie kann. Man war zum Abschlusskonzert des 73. Festivals junger Künstler in die Stadtkirche gekommen, die bis auf den letzten Platz gefüllt ist. „Das Festival junger Künstler Bayreuth“, lesen wir in der Ankündigung, „bietet dem Ukrainischen Jugendsymphonieorchester als Plattform wieder die Möglichkeit, seine Arbeit unter friedlichen Bedingungen auszuüben.“ Nein, der Auftritt einer ukrainischen Formation und die Förderung eines derartigen, gewiss nicht kostenlosen Projekts – in diesem Fall hat sich die BayWa-Stiftung verdient gemacht – bedarf in diesen Zeiten keiner weiteren Begründung, es sei denn, sie läge in der Musik selbst. Kann Musik unpolitisch sein? Frank Piontek, der sich in der kleinen Pause mit der Orchesterdirektorin Aleksandra Zaitseva über die „Mission“ des Orchesters unterhält (sie besteht darin, junge ukrainische Musiker und die Musik der ukrainischen Komponisten zu fördern und das kulturelle Erbe wie die kulturelle Gegenwart weltweit bekannt zu machen) – Frank Piontek gibt in seiner kleinen Konzerteinführung einen kleinen Überblick in die politischen Intentionen, denen die meisten der am Nachmittag gespielten Kompositionen ihre Entstehung verdanken. Hört man die phänomenale Daryna Bachynska als Solistin in Yevhen Stankovychs 3. Kammersymphonie für Flöte und Orchester, spürt man unwillkürlich, dass selbst diese „absolute“ Musik (es gibt keine absolute Musik) die Musik eines Individuums ist, das im Jahre 1982 die Umstände der Entstehung in die Partitur hinein komponiert hat; die Besetzung der Ukraine durch die Sowjetunion ist heute noch nachhörbar – nicht weniger die gebrochene Hoffnung auf eine Befreiung, die heute buchstäblich unter Beschuss steht. Der Schlussakkord ist mehr eine Frage als ein Ende, die letzte tastende Phrase wird allein von der Flötistin gespielt. Bachynska spielt das so innig und technisch vollkommen, dass die ersten Begeisterungsstürme, die nach dem Opus 1 dieses Abends erklingen, den Ton des Abends so gut angeben wie das Spiel der Musiker selbst. Anteilnahme, auch das ist ja so ein Schlagwort des Festivals 2023 (die Zuhörer wissen das, ohne es zu kennen).
Das Bayreuther Festival birgt immer die Möglichkeit, auf neue Stücke und ihre ersten Interpreten zu stoßen. Bohdana Froyliks „The Way“ wurde eigens für das Orchester komponiert, das die Orchesterkomposition im Juni 2023 uraufführte; nun antwortet „der (ukrainische) Weg“ unter neuen und verschärften Bedingungen auf das Werk des Altmeisters Stankovych. Es beginnt mit einer Katastrophe, also der Begleitmusik zu einem Kriegsfilm – und kommt über dissonante Ballungen in eine von der Solovioline und hohen Flöten akzentuierte Musik des Friedens, die so etwas wie eine zarte Hoffnung, einen Weg ins Licht zitiert. Kann auch wortlose Musik politisch sein? - Aber oho!
Selbst Malcolm Arnolds scheinbar harmlos daherkommendes Flötenkonzert op. 45 gewinnt seine Dignität aus der schlichten Tatsache, dass diese Musik des Friedens eine Setzung gegen alle Gewalt in Noten legte. Daryna Bachynska spielt sie mit flirrender Eleganz, begibt sich mit dem Streichorchester in eine unendlich balsamische Idylle – und beschwört am Ende, im traditionell heiter zu sein habenden Schlussrondo, eine Dramatik, die auffällt. Schon unter dramaturgischen Gesichtspunkten war die Programmauswahl der Stücke vortrefflich. Kann Musik politisch sein? Beethovens 5. Symphonie ist das Paradebeispiel einer nicht textgebundenen politischen Musik. Piontek erläutert die historischen Hintergründe des Werks, das 1808, mitten in der Hochzeit von Napoleon Bonapartes scheinbar ewig währendem Triumph, geschrieben wurde. Durch Nacht zum Licht, das ist das Programm. Das „Schicksal“ ist, wie Napoleon sagte, die Politik: die Unterjochung der Völker durch einen Diktator, doch der Durchbruch zur Freiheit, der im einzigartigen Übergang zum Finalsatz sich vollzieht, lässt schließlich nur noch eine Lesart übrig: „La Liberté“. „Die Freiheit“: man kann diese den französischen Revolutionshymnen entnommenen vier Silben auf das heroische Bläsermotiv singen, das zuletzt den Ton des Siegessatzes bestimmt. Dass nach der Befreiung Europas vom napoleonischen Joch die Reaktion und Restauration der alten Monarchien kam, steht auf einem anderen Papier.
Oksana Lyniv führt ihre Musiker mit heftigster Vehemenz in den ersten Satz hinein. Das Schicksal wütet, tobt und jagt, nicht allein die Kontrabässe werden an ihre Grenzen gepeitscht. Im zweiten Satz wölbt sich Napoleons Siegesmarsch über dem Schlachtfeld auf, der Kontrast zu den zarten Streichereinsätzen ist umso größer, der Tod herrscht noch über das Leben. Wir hören schließlich im letzten Satz, wie wir es selten in Live-Aufführungen hören, kurz nach Beginn eine Bläsercompagnie, als säße da eine Banda inmitten des Orchesters. Die Elemente kommen zusammen, aber sie sind unterscheidbar. Der kollektive Jubel kennt noch Unterschiede, die die Musik vor dem Diktat der Eintönigkeit retten.
Utopie Hoffnung? Vielleicht. Der Beifall nach dem gloriosen Finale aber war gewaltig. „Slawa Ukraini!“ - Beethoven hätte mit eingestimmt: in den Beifall wie in den Ruf.
Das Bayreuther Festival birgt immer die Möglichkeit, auf neue Stücke und ihre ersten Interpreten zu stoßen. Bohdana Froyliks „The Way“ wurde eigens für das Orchester komponiert, das die Orchesterkomposition im Juni 2023 uraufführte; nun antwortet „der (ukrainische) Weg“ unter neuen und verschärften Bedingungen auf das Werk des Altmeisters Stankovych. Es beginnt mit einer Katastrophe, also der Begleitmusik zu einem Kriegsfilm – und kommt über dissonante Ballungen in eine von der Solovioline und hohen Flöten akzentuierte Musik des Friedens, die so etwas wie eine zarte Hoffnung, einen Weg ins Licht zitiert. Kann auch wortlose Musik politisch sein? - Aber oho!
Selbst Malcolm Arnolds scheinbar harmlos daherkommendes Flötenkonzert op. 45 gewinnt seine Dignität aus der schlichten Tatsache, dass diese Musik des Friedens eine Setzung gegen alle Gewalt in Noten legte. Daryna Bachynska spielt sie mit flirrender Eleganz, begibt sich mit dem Streichorchester in eine unendlich balsamische Idylle – und beschwört am Ende, im traditionell heiter zu sein habenden Schlussrondo, eine Dramatik, die auffällt. Schon unter dramaturgischen Gesichtspunkten war die Programmauswahl der Stücke vortrefflich. Kann Musik politisch sein? Beethovens 5. Symphonie ist das Paradebeispiel einer nicht textgebundenen politischen Musik. Piontek erläutert die historischen Hintergründe des Werks, das 1808, mitten in der Hochzeit von Napoleon Bonapartes scheinbar ewig währendem Triumph, geschrieben wurde. Durch Nacht zum Licht, das ist das Programm. Das „Schicksal“ ist, wie Napoleon sagte, die Politik: die Unterjochung der Völker durch einen Diktator, doch der Durchbruch zur Freiheit, der im einzigartigen Übergang zum Finalsatz sich vollzieht, lässt schließlich nur noch eine Lesart übrig: „La Liberté“. „Die Freiheit“: man kann diese den französischen Revolutionshymnen entnommenen vier Silben auf das heroische Bläsermotiv singen, das zuletzt den Ton des Siegessatzes bestimmt. Dass nach der Befreiung Europas vom napoleonischen Joch die Reaktion und Restauration der alten Monarchien kam, steht auf einem anderen Papier.
Oksana Lyniv führt ihre Musiker mit heftigster Vehemenz in den ersten Satz hinein. Das Schicksal wütet, tobt und jagt, nicht allein die Kontrabässe werden an ihre Grenzen gepeitscht. Im zweiten Satz wölbt sich Napoleons Siegesmarsch über dem Schlachtfeld auf, der Kontrast zu den zarten Streichereinsätzen ist umso größer, der Tod herrscht noch über das Leben. Wir hören schließlich im letzten Satz, wie wir es selten in Live-Aufführungen hören, kurz nach Beginn eine Bläsercompagnie, als säße da eine Banda inmitten des Orchesters. Die Elemente kommen zusammen, aber sie sind unterscheidbar. Der kollektive Jubel kennt noch Unterschiede, die die Musik vor dem Diktat der Eintönigkeit retten.
Utopie Hoffnung? Vielleicht. Der Beifall nach dem gloriosen Finale aber war gewaltig. „Slawa Ukraini!“ - Beethoven hätte mit eingestimmt: in den Beifall wie in den Ruf.